Drehbuchlektorat (Beispiel)

Autor: Herbert Böhm
Titel: Briefe über Cézanne
Format: Drehbuch 120 min.
Genre: unklar
Eingangsdatum: 19.01.2013
Rechte bei: Herbert Böhm
Lektorin: Charlotte Feldmann
Datum: 24.01.2013

Logline:
Der pensionierte Florian beschließt nach dem Tod seiner Frau nach Aix-en-Provence zu
reisen, um seine Tochter Maja aus erster Ehe und seine Enkeltochter Hannah zu suchen.
Maja will zunächst nichts von ihrem Vater wissen, hat Florian sich doch ihr Leben lang
nicht um sie gekümmert. Als Maja und ihr Mann Martin jedoch aus beruflichen Gründen
nach Deutschland reisen müssen, lässt sich Maja von Martin überzeugen, Hannah in der
Obhut ihres Großvaters zu lassen. Florian ist überglücklich. Er hat nicht nur seine Tochter
zurückgewonnen und das Herz seiner Enkeltochter erobert, sondern auch die Liebe von
Maria, Inhaberin der Pension, in der er wohnt. Doch so unerwartet die neue Liebe in sein
Leben tritt, so unerwartet wird sie Florian auch wieder genommen…
Kritik allgemein:
Wie schon der Titel erahnen lässt, liegt hier ein eher literarischer Stoff vor, der in der
jetzigen Fassung noch zu wenig filmische Entsprechung findet. Dem Drehbuch wohnt
eine subtile Sprache und Zartheit inne, die momentan mehr an eine poetische
Kurzgeschichte als an ein Drehbuch erinnert. Epische Elemente wie die Erzählerstimme
verstärken den Eindruck. So sind auch die Gefühlsbeschreibungen der Figuren ein
literarisches Werkzeug. Sie sollten, ja müssen im Drehbuch aus dem Kontext heraus
ersichtlich werden: Selbige können auf der Leinwand nur über Dialoge, Handlungen der
Schauspieler und Bilder dargestellt werden, sind also als ausgeschriebener Text hinfällig
(es sei denn, sie werden hinterher von einem Offsprecher eingelesen). Bilder, die die
beschriebenen Stimmungen transportieren können, sind teilweise entwickelt. Die Welt, in
der die Geschichte spielt, bietet genügend Material, um noch öfter Bilder sprechen zu
lassen.
Der vorliegende Stoff ist in eine klare Ordnung gebracht. Auch liegt dem Handeln der
Hauptfigur ein eindeutiges Ziel/Want – er will von seiner Tochter angenommen werden –
und ein zumindest angelegtes Need – er ist liebebedürftig – zugrunde. Insgesamt bleiben
dramaturgische Mittel wie Wendepunkte und Klimax aber nur schwach entwickelt. Alle
Wendungen (bis auf die Ermordung Dörtes) bleiben subtil und können dadurch keine
starken Emotionen im Zuschauer auslösen. Zudem müsste die Notwendigkeit der
Hauptfigur, ihr Ziel zu erreichen, stärker herausgearbeitet werden. Die Fallhöhe ist zu
gering, als dass der Zuschauer mit Florian mitfiebern kann. Auch wenn Florian seine
Tochter nicht für sich gewinnt, so hat er zumindest nichts verloren, was er vorher
besessen hätte. Er würde lediglich in seinem Status Quo verweilen.
Florian erscheint als ein sympathischer und durchaus moralischer, mitfühlender Mensch,
was im Allgemeinen zur Identifikation einlädt. Doch widerfährt ihm kein unverdientes
Leid, auf dessen Linderung der Zuschauer hoffen könnte. Auch bleibt die Backstory
(Ghost) von Florian im Dunkeln. Warum hat er den Kontakt zu seiner Tochter so lange
vermieden? Es werden auch keine Defizite der Figur erzählt, auf dessen Überwindung
oder Versöhnung der Zuschauer hoffen könnte. Würden Defizite und Need der Figur
herausgearbeitet, verliehe ihr dies zum einen mehr Tiefe, zum anderen würde sich der
Zuschauer stärker mit ihr identifizieren und wäre dadurch emotional stärker beteiligt.
Der Eindruck entsteht, dass der Autor sich nicht auf ein Genre festgelegt hat, was die
Gefahr birgt, dass die Zuschauerführung zu unentschieden bleibt: Was soll der
Zuschauer empfinden? Wie soll er sich fühlen? Wo soll die emotionale Reise hingehen?
Bei der aktuellen Fassung überträgt sich die bereits erwähnte „Zartheit“, die die
Geschichte prägt und die bei der Überarbeitung des Buches nicht verloren gehen sollte,
auf den Zuschauer. Hiervon abgesehen bleibt der Zuschauer jedoch zu unbeteiligt. Es in
vorliegender Fassung noch keine Stelle, an der er wirklich stark ergriffen wird. Auch
werden nur wenige Spannungen in ihm erzeugt. Das liegt daran, dass der Autor den Stoff
poetisiert aber nicht dramatisiert hat. Es ist ratsam, in Zukunft in einer umgekehrten
Reihenfolge vorzugehen und zuerst die dramatischen Bögen zu setzen (einen stabilen
Baum pflanzen) und danach zu poetisieren (den Baum schmücken).
Der Stoff ist insofern gut gewählt, als dass in ihm mehr als eine Nischenthematik steckt.
Das Gefühl, einem Familienmitglied wieder näherkommen und aus der eigenen
Einsamkeit ausbrechen zu wollen, werden die meisten Zuschauer kennen. Es täte der
Geschichte jedoch gut, wenn sie bezüglich dieser Thematik eine Botschaft hätte, die
über sich selbst hinausweist. Wofür steht Florians Geschichte? Was soll der Zuschauer
am Ende der Geschichte lernen?

Handlung und Struktur:
► Die Handlung ist in zwei Ländern verortet: Deutschland und Frankreich. Im Zickzack
springt sie zwischen Berlin und Aix-en-Provence hin und her. Verbindungsstück zwischen
beiden Ländern ist der „roadtrip“, bei dem sich Haupt- und Nebenhandlung kreuzen.
Abgesehen vom Plot sind die Handlung des Buches recht alltäglich. Da Film bestenfalls
aber größer ist als das Leben bzw. das Dramatische des Lebens verdichtet und das
Undramatische des Lebens ausspart, sollte versucht werden, an der Alltäglichkeit vorbei
zu schreiben. Das Publikum will in Spannung versetzt und bewegt werden, es drängt hin
auf eine Katharsis und eine neue Idee. Die Geschichte sollte ein Transportmittel für eben
diese Idee sein.
Der Leser stößt an einigen Stellen auf Informationswiederholungen. So bekommt er
bereits Gelesenes noch einmal in einem Figurendialog nacherzählt.
Momentan ist die Handlung noch recht simpel, der Leser/Zuschauer wird kaum dazu
angehalten, mitzudenken, Fragen aufzuwerfen oder Vermutungen aufzustellen. Ein
häufigeres Spiel mit Symbolen sowie ein öfteres „Säen und Ernten“ (Planting and Pay
Off) von Informationen würden der Handlung mehr Würze verleihen. Das Interesse und
die Neugierde des Lesers/Zuschauers könnten dadurch aufrechterhalten werden.
►Auch die Nebenhandlung könnte komplexer sein und die Haupthandlung stärker
befeuern. Sie birgt momentan keine antagonistische Kraft, die der Hauptfigur im Weg
steht. Unklar bleibt zudem, wofür die Nebenhandlung thematisch steht. Was haben Dörte
und Gitte mit der Hauptgeschichte zu tun? Interessanterweise ist die Mordszene in der
Nebenhandlung diejenige Szene, die wirklich überrascht und fesselt. Die Tötung Dörtes
kommt mit unerwarteter Brutalität nicht nur auf der Handlungsebene daher, sondern auch,
weil sie einen plötzlichen Stilbruch einläutet. Die Geschichte bekommt hier ganz plötzlich
eine neue Farbe. Ihre Zartheit ist mit einem Mal gebrochen. Diese extreme Gegenüberstellung von Sanftheit und Brutalität sollte nicht als Insel in einem ruhigen Meer
auftauchen. Sie sollte öfter ausgespielt werden, um den Eindruck eines Zufalls zu
vermeiden und daraus einen gewollten dramaturgischen Kniff zu kreieren. Aus der
genannten Gegenüberstellung könnte ein interessantes Spiel werden, das den Zuschauer
in Spannung versetzt.
Der Sinn über die Auflösung der Haupt- sowie Nebenhandlung bleibt unklar. Was hat
Florian aus der Geschichte gelernt? Und Gitte, die der Zuschauer gar nicht wirklich kennt?
Kann sie wirklich den gerade geschehenen Tod ihrer Freundin so schnell „wegstecken“?
Gitte und Florian haben beide einen geliebten Menschen schlagartig verloren. Jedoch ist
Gittes Schicksal viel drastischer und stellt Florians Erlebnisse in den Schatten. Florians
Liebe bleibt unerfüllt, Gittes Liebe wurde kaltblütig ermordet. In Anbetracht ihres Verlustes
erscheint Florians Monolog am Schluss wie ein taktloses Jammern. Die Nebenhandlung
sollte die Haupthandlung unterstreichen, nicht umgekehrt.
►Es stellt sich die Frage, ob ein Voice Over nötig ist. Ein Sprecher unterbricht
grundsätzlich das Eintauchen des Zuschauers in die fiktive Welt und birgt die Gefahr, ihn
aus dem Geschehensfluss zu reißen. Zudem ist er ein episches Element und verstärkt
den ohnehin schon literarischen Anstrich der Geschichte.
Ein epischer Film mit Voice Over kann natürlich gewollt und sinnvoll sein. In dem Fall
sollte der Sprecher nicht Offensichtliches kommentieren, sondern aus Gesehenem neue
Erkenntnisse ziehen, die er dem Zuschauer mitteilt. Dass die Autofahrt beispielsweise
anstrengend war, interessiert nicht wirklich, da die Information keine über sich selbst
hinausweisende Aussage beinhaltet. Es fällt auch auf, dass der Sprecher sich im zweiten
Akt fast gar nicht zu Wort meldet und wie aus dem Nichts im dritten Akt plötzlich wieder
auftaucht. Zudem wechselt am Schluss die Sprechinstanz: Auf einmal ist Gitte die
Offsprecherin. Das ist ungewöhnlich und irritierend. Was ist hier Sinn und Zweck eines
unzuverlässigen Erzählers? Steckt dahinter ein dramaturgisch geplanter Eingriff, der ein
bestimmtes Gefühl im Zuschauer auslösen soll? Welches? Es sollte bedacht werden,
dass Gitte durch ihre unvermittelte Sprechinstanz plötzlich eine viel stärkere Bedeutung
erhält, als es in ihrer Rolle angelegt ist.

Charaktere:
► Die Anordnung der Figuren in der Haupthandlung erscheint sinnvoll und übersichtlich.
So muss sich Florian zunächst gegen eine ganze Front von Menschen (seine neue
Familie) behaupten und bekommt im Verlauf Unterstützung durch Maria. Auch Martin
schlägt sich schon bald auf seine Seite, gefolgt von Hannah und schließlich Maja. Die
Funktionen der Nebenfiguren Dörte und Gitte sind jedoch in Bezug auf das Thema/die
Idee des Films nicht klar ersichtlich.
Im Ansatz gelingt es, einigen Figuren durch eine Backstory oder ‚Achillesferse‘ Tiefe zu
verleihen.
► Die Dialoge der Figuren sind zu lang und im Ganzen noch nicht interessant genug.
Sie sind zu realistisch bzw. alltäglich und beinhalten keinen Subtext. Die Sprache der
Figuren könnte unterschiedlicher sein, was helfen würde, dem Zuschauer Auskünfte über
ihren sozialen Hintergrund und ihr Wertesystem zu geben.
► Dem Autor gelingt es, seine Hauptfigur Florian zum Leben zu erwecken, ohne ihn mit
expliziten Attributen auszustatten. Das Wesen des Protagonisten wird durch seine
Handlungen und Worte offenbar. Allerdings scheint seiner Sanftmut keine andere
Charaktereigenschaft im Wege zu stehen, was innere Kämpfe gar nicht erst entstehen
lässt. Wir sehen Florian dabei zu, wie er fast schon engelhaft seiner Tochter all seine Zeit
widmet und seinem Schicksal ohne seine große Liebe Maria tapfer und optimistisch
entgegensieht. Florian wird es zu leicht gemacht. Nachdem das erste Treffen mit Maja
misslingt, glückt die Familienzusammenführung schon bald ohne weitere Hindernisse.
Zwar benötigt Maja Zeit und kann sich nur Schritt für Schritt ihrem Vater öffnen, doch hat
sie keinerlei Rückfälle, die ihre Zweifel und ihre Enttäuschung betreffen. Auch wenn der
Leser/Zuschauer sich wünscht, dass Maja nachgibt, weil Florian ein liebenswerter Mann
zu sein scheint, kann er sich nie ganz positionieren, da der Hintergrund dieses Vater-
Tochter Verhältnisses nicht ausreichend beleuchtet wird. Dass Florian sich schlichtweg
nicht um Maja gekümmert hat, weil er sie mit der Zeit aus den Augen verlor, befriedigt den
Leser/Zuschauer nicht. Da keine interessante Backstory entwickelt wurde, wird hier
dramatisches Potenzial verschenkt, kann aber nachgeholt werden!
► Maja ist die einzige Figur, die dem Ziel der Hauptfigur im Weg steht. Jedoch lässt sie
sich schnell von ihrem Freund Martin überzeugen, dass eine Zusammenkunft sinnvoll ist.
Dass es ihr nicht leicht fällt, über ihren Schatten zu springen, kann der Leser/Zuschauer
spüren. Doch ihr innerer Prozess verläuft zu gleichmäßig fließend. Er müsste
zwischenzeitlich erschüttert werden.
► Maria ist, analog zu Florian, eine saftmütige, mütterliche Frau, die zwar schon mal
einen über den Durst trinkt und kokett sein kann, ansonsten aber keine Ecken und Kanten
erkennen lässt. Sie wirkt wie Florians weibliche Entsprechung und bringt der Hauptfigur
dadurch keine neuen Erkenntnisse. Ihr Potenzial liegt darin, einen blinden Fleck in Florian
sichtbar zu machen, ihm etwas zu offenbaren, das er verdrängt. Sie sollte vielmehr ein
Gegenpol zum Protagonisten darstellen, nicht ein weibliches Pendent.
Mit Maria gelingt ein Planting and Pay Off in der Szene, in der sie sich auf den Weg macht,
um Blumen ins Meer zu streuen. Hier wird ein Bild gepflanzt, das Zuschauerfragen aufwirft
und später mit einer Bedeutung versehen wird: Die Blumen sind ihrem Mann gewidmet,
der vermutlich umgebracht wurde. Damit einher geht die geheimnisvolle Figur, die Maria
verfolgt und die sich später als ihr totgeglaubter Ex-Mann entpuppt. Dieser Kniff bringt
Spannung und einen gewissen „Thrill“ in die größtenteils eher geradlinig verlaufende
Geschichte.
► Hannah hat das Potenzial, Florian unverblümt und radikal, wie es für Kinder typisch ist,
mit Fragen zu konfrontieren. Hier könnte eine interessante Backstory entrollt werden, die
der Geschichte Tiefe verleiht.
► Auch wenn Martin aus egoistischen Gründen die Versöhnung mit Maja fördert, ist er ein
Verbündeter Florians, der das Erreichen seines Ziels fördert. Martin ist noch nicht so weit
entwickelt, als dass sich sonstige Aussagen über ihn machen lassen.
► Dörte und Gitte sind auf ihre Weise interessante Figuren, fallen allerdings ein wenig aus
der Figurenkonstellation heraus. Sie wirken wie Fremdkörper, die lediglich für sich stehen,
da sie thematisch und was ihre Zielsetzung betrifft nicht mit den anderen Figuren
verbunden scheinen.

Überarbeitungsvorschläge:
► Es wäre sinnvoll, wenn Sie sich auf ein Genre festlegen. Falls ihr Buch ein Drama
werden soll, so sollte das „Dilemma“ im Vordergrund stehen. Der Protagonist muss sich
zwischen zwei unzulänglichen Lösungen entscheiden, z.B. zwischen der Liebe seiner
Tochter und der Liebe Marias. Zwischen einem Leben in Aix-en-Provence und dem
Verlust seiner Heimat oder einem Leben in seiner Heimat und dem Verlust seiner gerade
gewonnen Tochter usw.
► Auch wenn das Buch bewusst episch angelegt ist, sollten dramatische Bögen nicht
fehlen. Verstärken Sie die Ziele, die Fallhöhen, die Hindernisse, die Wendepunkte!
Bauen Sie Szenen wie die Gewitterszene in den Bergen weiter aus! (Hier wird zwar
Spannung aufgebaut, aber nicht ausgeschöpft. Die Figuren werden lediglich ein wenig
nass…)
► Arbeiten Sie mit metaphorischen Bildern wie das des Montagne-Sainte-Victoire von
Cézanne. Hier wird eine starke Idee symbolisiert: „Das Wesentliche ist für das Auge
unsichtbar.“ „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Aber was hat diese Idee mit der
Geschichte zu tun? Wenn das die Aussage des ganzen Filmes werden soll, dann wäre
dies ein starkes Bild, um diese Aussage ohne lange Erklärungen am Schluss zu
verwenden. Doch habe ich den Eindruck, dass dieses Sinnbild eher zusammenhanglos
eingestreut wurde. Machen Sie sich klar, was Sie vermitteln wollen und suchen Sie dann
nach visuellen Entsprechungen.
► Bestenfalls sind die Figuren Transporteure für verschiede Aspekte EINES Themas.
Legen Sie diese Aspekte vor der nächsten Fassung fest und entwickeln Sie Ihre Figuren
anhand dieser Aspekte weiter. Versuchen Sie, die Prämissen insgesamt vor der
Überarbeitung auf den Punkt zu bringen: Was ist das Thema? Was ist die entsprechende
thematische Frage, auf der die gesamte Geschichte fußt? Wie wird diese thematische
Frage am Schluss beantwortet? Was ist also die Message, die Aussage, die Erkenntnis,
die Moral der Geschichte? Zudem: Wie lauten die einzelnen Sequenzfragen und wie
werden sie beantwortet?
► Jede Figur sollte ein klares (materiell greifbares) Ziel/Want und ein der Figur
unbewusstes Need haben. Überprüfen Sie Ihre Figuren daraufhin! Zudem sollte jede
einzelne Figur eine starke Notwendigkeit haben, ihr Ziel zu erreichen. Die einzelnen Ziele
sollten sich nach Möglichkeit gegenseitig im Weg stehen.
► Die fast durchgängige Sanftmut der Geschichte führt dazu, dass sie noch nicht
emotional genug ist: Man ist nicht gespannt, nicht traurig, nicht amüsiert genug. Nur zwei
Szenen bauen auf Spannungsfragen auf: 1. Werden Florian, Maja und Hannah es
schaffen, vor dem Gewitter im Trockenen zu sein? / Kommen sie unversehrt zurück? 2.
Werden es Gitte und Dörte schaffen, ihrem Peiniger zu entkommen? Neben einer
thematischen Frage sollte eine solche Spannungsfrage jeder einzelner Szene
unterliegen.
► Sie könnten eine starke Backstory erarbeiten, so dass Maja zu echten Wutausbrüchen
berechtigt ist und es Florian schwerer gemacht wird, sein Ziel zu erreichen. Wir versuchen immer unsere Hauptfiguren möglichst glimpflich davon kommen zu lassen, aber genau das ist verkehrt! Schicken Sie Ihre Figur durch die Hölle! Dort lernt man am meisten und dort schwitzt der Zuschauer am stärksten!
► Die Erzeugung von Überraschungen durch Planting and Pay Off sollte verstärkt
werden. Dies wirkt wie ein Denksport auf den Zuschauer, er wird dazu angehalten, geistig
aktiv zu bleiben.
► Am Schluss der Geschichte sollte es eine starke Charakterentwicklung geben. Der Held hat sich um 180 Grad gedreht, er ist das Gegenteil von dem, was er am Anfang war. Durch den Kampf im zweiten und dritten Akt hat er eine grundlegende Erkenntnis gemacht und als Belohnung für Gelerntes sein Need erhalten. Was hat Ihre Figur gelernt, was er am Anfang seiner Reise nicht wusste? Was ist die Message des Films? Dass man lernen soll, geliebte Menschen loszulassen? Dann müsste die herausragende Eigenschaft von Florian zu Beginn sein, dass er klammert, dass er einfach nicht loslassen kann. Doch das scheint nicht der Fall zu sein.
► Behalten Sie bei der Überarbeitung der Dialoge im Hinterkopf, dass man die Gefühle,
die Sie beschreiben, auf der Leinwand nicht sehen kann. Wenn Sie ein Drehbuch
schreiben, bewegen Sie sich im Medium Film, nicht im Medium Literatur. Das Drehbuch ist nur eine Vorlage, die Sprache außerhalb der Dialoge wertlos. Sätze wie „FLORIANS Blick hält sich am Horizont fest. Die Erinnerung an längst vergangene Zeiten kommt ihm
unwirklich vor, wie die Landschaft, die sich vor ihm ausbreitet.“ sind zwar poetisch, aber
überflüssig. Wenn Sie zweifeln, ob das Bild der Landschaft es vermag, die Gefühlslage
Ihrer Figur widerzuspiegeln, suchen Sie ein neues Bild. Die Gefühle der Figuren muss der
Leser/Zuschauer ohne Erklärungen verstehen.
Auch Anweisungen wie wer etwas sagt („MAJAS Ton ist nicht aggressiv, nicht anklagend.
Ihre Fragen stellt sie leise, ruhig und ernsthaft.“) sind zu literarisch. Es muss aus dem
Kontext heraus ersichtlich werden, in welchem Ton gesprochen wird. Regisseur/in sowie
Schauspieler brauchen zudem ihren Interpretationsspielraum.